Moclín - Alcalá la Real

Oh, manchmal ist es schon grauselig: Gestern sind wir mit viel Schwitze, Müh und Geschnauf den Berg hinaufgestiegen, heute gehen wir das alles wieder runter - und wofür? Dafür, dass wir uns am Ende des Tages wieder bergauf schleppen müssen. Ganz klasse!

 

Und was heißt hier überhaupt am Ende des Tages. So lange dauert das gar nicht. Kaum halbwegs unten gangekommen, geht es immer wieder nicht unstramm über die Hügel und durch die Oliven. Irgendwo unterwegs treffen wir zwei ältere Herren, denen das Auf und Ab der Plantagen gar nichts auszumachen scheint. Auf unsere Frage, wo denn endlich die nächste Bar kommt, fangen die nur schallend an zu lachen. Ihre Diskussion danach verstehen wir nicht wirklich, aber bei so viel Überlegen muss man kein Spanisch können, um zu verstehen, dass wir bis dorthin noch einen ziemlich langen Weg vor uns haben.

 

Naja gut, aber Kaffeedurst haben wir trotzdem. Besonders ich. Und frisch ist es auch. Darum will ich Thomas im nächsten Dörfchen, wo er seinen Rucksack absetzt und wenigstens ein bisschen Pause machen möchte, auch schon sich selbst und einer Bank vor der Kirche überlassen, da kommt ein Hund und stibitzt ihm seinen Handschuh. Da solltet ihr mal sehen, wie der, der gerade stöhnend seine Kiepe abgesetzt hat, rennen kann! Schwups! - ist er schon dem Dieb hinterher und um die nächste Ecke verschwunden, um ein paar Minuten später, in denen ich nicht weiß, ob ich mir mehr Sorgen um meinen Mann oder den Hund machen soll, mit dem Stück des allgemeinen Begehrs wieder zurück.

 

Im nächsten Ort soll es zwei Bars geben. Das hatte ich mir zumindest so aufgeschrieben, aber die erste sieht sehr dunkel aus. Die zweite zwar auch, aber weil ihre Türe direkt an der Straße liegt, drücke ich doch einmal dagegen und singe innerlich ein Haleluja, als sie sich öffnet. Gleich darauf fühle ich mich dann zwar ein bisschen unwohl, weil rund um mich herum nur mindestens mittelalte Männer stehen (ich muss gerade daran denken, als wir in der Sierra Nevada in Amerika einmal in eine Bar kamen: Rundherum dustere Typen mit Baumfällerhemden und dicken, gruseligen Bärten an einem langen Tresen hockend, vereint ins Schweigen vertieft, danzu wir in kurzen Hosen, bunten Shirts und ich als einzige Frau - fragt nicht! Ein kitschiger Film war ein Nix dagegen!), aber sie registrieren mich nur kurz aus den Augenwinkeln und verziehen auch dann nicht angewidert die Gesichter, als ich meine Schuhe ausziehe.

 

Als ich zur Bar gehe, um meinen Kaffee zu bestellen, hängt über ihr ein pilgerblaues Tuch mit der Aufschrift "Camino Mozárabe" - das ist ja schön! Mathias hat heute Geburtstag und das wäre doch ein tolles Geschenk! Aber leider hat der Wirt nur dieses eine und das ist nicht zu verkaufen. In den nächsten Tagen gucke und frage ich zu jeder Gelegenheit nach einem solchen Tuch, finde aber leider keins mehr.

 

Irgendwann kommt Thomas auch angeschlappt. Wir bleiben noch ein Weilchen gemeinsam in der Bar, dann gehe ich aber wieder los. Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, ist es aber nicht. Einen Camino zu gehen ist nicht mal eben ein Sonntagsspaziergang, den man fein nebeneinander her macht. Jeder hat seinen Rhythmus, seine Geschwindigkeit, braucht seine Pausen anders. Wir haben schon in unserem ersten Pilgerjahr gemerkt, dass wir völlig unterschiedlich sind, und wir nehmen und geben uns unsere Freiräume. Ich finde das total wichtig, nicht nur mit dem Rucksack auf dem Rücken.

 

 

Nach einem ganz langen Stück durch Olivenwald und Feld treffe ich auf eine Straße und bin ein bisschen ratlos. Die gelben Pfeile haben mich verlassen. Hm. Das sind Momente, die mag ich nicht. Ich möchte nicht nachdenken müssen, wo ich langgehen muss. Ich mag einfach gehen ohne zu denken, Kopf ausgeschaltet - zumindest vor solchen Dingen, damit er Zeit und Muse hat, sich um andere Gedanken zu kümmern. Ich irre ein bisschen in der Gegend herum und just, als ich denke, dass ich jetzt weiß, wo es langgeht, sehe ich in einiger Entfernung Thomas und Mathias in die, wie ich denke, falsche Richtung stiefeln. Wie gut, dass es Handy gibt! Das am Ohr und wild mit dem freien Arm fuchtelnd und auf- und abhüpfend zeige ich ihnen, wo es meiner Meinung nach langgeht - was natürlich komplett falsch ist. Nee, ne! Aber da ist doch ein Pfeil! ... den wer weiß wer aus wer weiß welchem Grund da hingepinselt hat. Zum Camino kann er jedenfalls nicht gehören, das muss ich schließlich beim Blick auf Mathias GPS zugeben. Also Kehrtwendmarsch und zumindest grob in richtiger Richtung weiter, denn die Markierung hat sich wohl schon vor einiger Zeit von uns verabschiedet - oder wir uns von ihr. Den Abzweig im Feld haben wir jedenfalls alle drei nicht gesehen.

 

Aber alles nur halb so schlimm: Wir kommen schließlich auf alle Fälle nach Alcala la Real und gehen erst einmal ins nächste Café, das zwar zu einem Hotel gehört, das aber wiederum einen schier unglaublichen Preis für ein Einzelzimmer verlangt. Bei aller Nichtkleinlichkeit - das muss man nicht unterstützen. Also ziehen wir weiter und finden ein sehr nettes anderes Hotel, in dem wir uns zum Abendessen wiedertreffen. Das Mädel gibt sich bei unserer Bestellung wirklich alle Mühe, aber trifft mit ihren Erklärungen bei uns auf einfach zu deutsche Ohren. Schließlich ordern wir drei Tagesessen mit drei verschiedenen Vor-, Haupt- und Nachspeisen, stellen alle Teller in die Mitte und picken mal hier mal da ein bisschen. Oh, ich mag das! - auch wenn der Koch wahrscheinlich in der Küche eine helle Krise bekommen hat.